Buchproduktion: Einführung in die neue Welt (1)

Mediengenealogie und Gutenberg Galaxis

Der Aufbruch zur modernen Gesellschaft wird im Allgemeinen mit der Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert zugeschrieben. Mit der Druckerpresse ließ sich das Wissen der westlichen Welt aus dem Monopol der Kirche und Klöster befreien und über die folgenden Jahrhunderte demokratisieren.

Jede große Idee – von Galileo Galilei über Adam Smith und Karl Marx bis zu Tim Berners-Lee (Erfinder des WorldWideWeb)– und jede Form der Dichtung von Dante Alighieri über Johann Wolfgang von Goethe bis Umberto Eco fand in der Folge seine Manifestation zunächst im gedruckten Wort bevor es Verbreitung fand und unser Weltbild prägte. Gutenberg ermöglichte den Aufbruch in ein neues Wissenszeitalter.

Damit scheint das gedruckte Wort wie das Buch uneingeschränkt positiv zu sein und stellvertretend für die kulturelle Evolution der Menschheit zu stehen. Der Medientheoretiker Marshall McLuhan sieht das etwas differenzierter und spricht in diesem Zusammenhang von der typografischen Gutenberg Galaxis (Buchtipp: Die Gutenberg-Galaxis, das Ende des Buchzeitalters), die über die letzten 500 Jahre entstand. Im Mittelpunkt dieser Gutenberg Galaxie steht die Druckerpresse. Nach McLuhan können wir die menschliche Geschichte mediengenealogisch in vier Epochen einteilen:

  • Oralität: die Epoche der mündlichen, vorschriftlichen Kommunikation
  • Literalität: die Epoche der (handschriftlichen) Aufzeichnungen mit ihren klösterlichen Skriptorien und kirchlichen Wissensprimat
  • Gutenberg Galaxis: die Epoche der typografischen Kommuninikation mit ihren Druckmaschinen und letztlich die jetzt herrschende
  • Digitalität: das elektronische Zeitalter mit ihren in Bits & Bytes aufgelösten Buchstaben Wörtern oder eben die Gutenberg Galaxis 2.0

McLuhan untersuchte die Auswirkungen verschiedener Kommunikationsmedien und -technologien auf die europäische Kultur und das menschliche Bewusstsein. Der typografischen Gutenberg Galaxis haben wir nach McLuhan nicht nur Positives zu verdanken, sondern auch die Schattenseiten der kulturell-gesellschaftlichen Entwicklung. Diese Epoche hat die Vielfalt der Sinnesempfindungen der Menschen in den Hintergrund gedrängt, indem sie die Wahrnehmung im gedruckten Wort visuell „homogenisierte“. Nach seiner Argumentation ermöglichte der Buchdruck z.B. die Entstehung des Nationalismus sowie die Vereinheitlichung und Standardisierung der Kulturen und die Entfremdung der Individuen.

Es gibt in der Tat leicht nachvollziehbare Hinweise, dass McLuhan mit seiner Betrachtung nicht ganz so falsch lag. Aber letztlich verdanken wir dieser Phase auch die Geburt der Digitalität. Mit der Loslösung der Buchstaben vom realen Papier hin zu virtuellen Medien könnte das kommende elektronische Zeitalter der globalen Vernetzung und der Social Media wohl eine "bessere" Epoche werden. Vielleicht wird durch die Vernetzung der Menschen und der dadurch verursachten räumlichen Distanz bei gleichzeitig virtueller Nähe der Freunde und Kommunikationspartner (Virtualisierung der Beziehungen) tatsächlich eine neue, friedlichere Welt geschaffen.

Jedenfalls aber hat die vernetzte Digitalisierung in den letzten fünfzig Jahren einen Veränderungsprozess initiiert, der das Monopol des gedruckten Wortes zersetzt und die Wissensvermittlung und –aufnahme nachhaltig verändert hat. Buchstaben und Worte lassen sich digital produzieren und darstellen und damit beinahe kostenfrei über elektronischen Weg verteilen.

Das Papier wird zunehmend abgelöst von elektronischen Online-Medien. Aus dem Papier wird das ePapier oder ePaper, aus dem Buch das eBook. Aus der gedruckt-linearen (seitenweisen) Informations- und Wissensvermittlung entwickelt sich eine kontextuell-digitale. Die haptische, erfühlbare Welt löst sich zunehmend in der digitalen Virtualität auf.

Momentan treten die digital-elektronischen Medien neben das Papier und die darauf basierenden Informationsprodukte und verändern damit deren Bedeutung. Abhängig von Neigungen, Themen und Kampagnen werden haptische wie virtuelle Kommunikation eingesetzt und verwachsen zu einem crossmedialen Gesamten.

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